Egoismus ≠ Selbstliebe
Eine wichtige Erkenntnis für mich als Hochsensible war, dass Selbstliebe nichts mit Egoismus zu tun hat. Auch jetzt noch muss ich mich immer wieder daran erinnern, denn die Angst egoistisch zu sein kommt immer wieder zurück.
Als Kind habe ich gelernt, die Bedürfnisse der anderen vor meine zu stellen. Dadurch habe ich total verlernt meine eigenen Bedürfnisse überhaupt zu erkennen. Es war ein Automatismus: Es kam eine Bitte vom Gegenüber, ich spürte, welche Reaktion von mir erwartet wurde, ich handelte danach, um der anderen Person ein gutes Gefühl zu geben. Ohne darüber nachzudenken, ob ich das überhaupt möchte.
Es hat lange gedauert dieses Muster zu erkennen. Es aufzulösen ist eine tägliche Aufgabe für mich. Durch Reflexion erkannte ich, dass mein Umfeld schon sehr daran gewöhnt war. Na klar, ich habe mich ja auch 30 Jahre lang oft so verhalten, wie andere das wollten. Natürlich ist das für alle sehr angenehm. Nur mir schadet es gewaltig.
Als ich begann für meine Bedürfnisse einzustehen, hat das auch bei meiner Umgebung etwas ausgelöst. Plötzlich hörte ich immer wieder die Aussage, ich sei egoistisch. Ein Beispiel: mein Bruder hat immer klar und deutlich Nein gesagt, wenn er etwas nicht machen wollte. Das wurde nie hinterfragt, sondern akzeptiert. Wenn ich jetzt Nein sage, wirft mir meine Mama vor, ich sei egoistisch. Spannend oder?
Was ich allerdings beobachte ist, dass mir nur von den Menschen Egoismus vorgeworfen wird, die selbst ihre eigenen Wünsche hinten anstellen. Aber wie unterscheide ich jetzt Selbstliebe und Egoismus? Die eigenen Bedürfnisse vor die der anderen stellen, ist doch egoistisch, oder? Der Unterschied ist, ich bin mir meiner Gefühle und Bedürfnisse bewusst, aber die der anderen sind mir nicht egal. Egoistisch ist für mich jemand, der den eigenen Vorteil auf Kosten anderer ausschöpft.
Zu Selbstliebe gehören aber noch andere Aspekte. Ein achtsamer Umgang mit sich selbst, keine innerlichen Vorwürfe wie „Jetzt hab ich das schon wieder verkackt“, sondern Verständnis und sich die eigenen Fehler verzeihen. Weniger darüber nachdenken, was andere über einen denken und stattdessen den Mut haben authentisch zu sein. Versprechungen an sich selbst einhalten und das durchziehen, was man sich vorgenommen hat. Dann kann auch das Selbstvertrauen wachsen. Und auch Ernährung hat etwas mit Selbstliebe zu tun. Sich die Zeit nehmen zu kochen und zu überlegen, was man zu sich nimmt, zeigt wie viel ich mir wert bin. Bewusst regelmäßig Raum für sich selbst nehmen. Das machen was einem selbst Spaß macht, ohne den Drang, immer nur in Gesellschaft Anderer etwas zu unternehmen.
25. Mai 2022